Mittwoch, 11. November 2009

Eine Initiative, Künstler und Frittenfett


Der Abend verbreitet bittere Kälte in Hamburgs zugigem Gängeviertel. In jedem Winkel flackern Grableuchten schwach in die Dunkelheit hinein und tauchen die Backsteinhäuser der engen Gasse in ein gespenstisches Licht. Es sind nicht Wenige, die noch jetzt am späten Sonntagabend entlang der teils verwahrlosten Gebäude schlendern und neugierige Blicke durch jede offen stehende Tür werfen.

Ihr Pappbecher dampft in der kalten Abendluft. Feline legt ihre Hausaufgaben beiseite und schlürft ein wenig Glühwein. „Ich bin schon seit Anfang an dabei“, sagt sie und streicht sich die Dreadlocks aus dem Gesicht. Als im August rund 200 Künstler die leer stehenden Wohn- und Fabrikhäuser zwischen Caffamacherreihe, Valentinskamp und Speckstraße besetzten, half auch die junge Schülerin mit. Feline wurde einfach „in die Arbeit eingebunden und davon gibt es immer genug“ – im Augenblick schenkt sie heißen Glühwein an frierende Besucher aus.

Ein älterer Herr humpelt auf seine Gehhilfe gestützt dem Samowar entgegen, wirft mit einem genuschelten Lob für die Initiative zwei Euro in die Spendenbüchse und trinkt seinen Becher aus. „Genau das wollen wir erreichen: Auf uns aufmerksam machen“, kommentiert Feline zufrieden. In der Tat stehen die selbsternannten „Bespieler“ des Viertels im Mittelpunkt der lokalen Nachrichten. Die modernen Redaktionsgebäude von Bildzeitung und Hamburger Abendblatt grenzen schließlich direkt an die verwahrlosten Grundstücke, „wir sind mittlerweile deren Lieblinge“ fügt sie mit einem zufriedenen Lächeln hinzu. In den ersten zwei Monaten der „Belebung der Gänge“ besuchten immerhin 15.000 Interessierte die Galerien und Veranstaltungsräume, jeden Tag werden es mehr. Meist bestaunen sie die Architektur des frühen 20. Jahrhunderts, bevor der Schritt in die Erdgeschosswohnungen gewagt wird. In jedem Eingang liegen Unterschriftenzettel für den Erhalt des Viertels als kreativen Raum für Hamburgs Künstler, die an diesem Ort die lang ersehnte Möglichkeit zur freien Ausstellung ihrer Werke gefunden haben.

Als Feline die nächsten Becher Glühwein füllt, entzündet sich plötzlich ein Feuer in der Metalltonne zehn Meter hinter ihr. Ein kleiner Zuschauerkreis sieht gespannt zu, wie die Flammen nach Luft gierend gen Himmel züngeln, während ein vollbärtiger Mann mit schulterlangem Haar zerrissene Kartonagen zum Schüren nachlegt. Ein genauer Blick offenbart die eigentliche Arbeit des Künstlers: Aus der Metallwand des Behälters wurde die Silhouette Klaus Kinskis herausgeschnitten, die nun durch das Feuer ein lebendiges Profil des verstorbenen Schauspielers erschafft. Neue Flammenstöße in weiteren Tonnen erwecken Ché Guevara und Michael Jackson zum Leben, das Publikum ist sichtlich fasziniert und flüstert andächtig untereinander, bevor sie ein geräuschvolles Knistern und Spritzen wieder verstummen lässt. „Frittenfett“, entgegnet der Langhaarige auf die fragenden Blicke, „hält das Feuer länger am Brennen“. Künstler wie er haben es in Hamburg schwer, da freie Flächen für kreative Arbeit fehlen. Ein zunehmender Teil wandert nach Berlin ab.

Trotz der rauchigen Luft und des Geruchs von Pommesbude, dringt aus dem nächstgelegenen Gebäude der Duft von Pasta. Ja, hier ist nicht nur Ausstellungs-, sondern auch Lebensraum für die vorläufigen Übergangsbewohner des Gängeviertels. Feline tritt ein und lädt sich den Teller voll, um sie herum das geschäftige Treiben der anderen Freiwilligen. Zwischen Spülschüssel, Geschirrkommode und dem fröhlichen Gelächter am Esstisch gewährt eine offen stehende Tür einen kleinen Einblick in die Öffentlichkeitsarbeit der Volksinitiative. Neben gestapelten Unterschriftenzetteln steht hier auch eine Buttonmaschine. Auf dem Tisch liegen einige bedruckte Bögen mit dem Slogan „Komm in die Gänge“ - die Botschaft ist klar.

Morgen sollen die ersten zwei Häuser geräumt werden.

„Wenn wir hier bleiben, während die Stadt die Übernahme an den Investor abwickelt, bricht sie dadurch den Vertrag“, erläutert Feline. „Am Ende würde der Steuerzahler belastet und das wollen wir nicht, schließlich sind wir alle Bürger dieser Stadt“, bekräftigt sie entschieden und fügt hinter vorgehaltener Hand hinzu: „Später gehen wir wieder rein, aber dann ist es das Problem des Investors“.

Feline trinkt den letzten Schluck aus ihrem Pappbecher und verabschiedet sich freundlich, bevor sie durch die Dunkelheit in Richtung Fabrikgebäude stapft. Von ihrem Revers blitzt ein frisch gestanzter Button auf: „Komm in die Gänge“ steht dort ein weiteres Mal geschrieben - Weiß auf Rot, das sind die Farben Hamburgs.

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